Radfahren auf ehemaligen Bahnstrecken immer beliebter

(WAZ-Artikel vom 11.07.2012)

Immer mehr ehemalige Bahnstrecken werden zu Fahrradwegen - 4800 Kilometer gibt es mittlerweile. Achim Bartoschek hat sie fast alle besucht. Das Wissen teilt er mit allen, die die meist flachen und reizvollen Pisten ausprobieren wollen.

Er spürt es, wenn er über eine ehemalige Bahnstrecke radelt, sagt Achim Bartoschek. „Das ist ein besonderes Fahrgefühl!“ Daheim schaut er dann in alten Atlanten nach und entdeckt meistens: Sein Gefühl trog ihn nicht. Bahntrassen fahren – das ist Radeln erster Klasse. Nicht nur für den 43-Jährigen aus Leverkusen. Nach den Flusstälern entdecken Radler, Ökologen und Tourismus-Experten ehemalige Bahnstrecken als neue Wege fürs elegante Vorwärtskommen.

Gerade hat er sich in einem dieser Sommerschauer mächtig nass regnen lassen – für die Erkundung einiger kleinerer Zechenbahnen im Essener Norden. Die wird er zuhause erstmal katalogisieren – in der vermutlich weltgrößte Datenbank zum Bahntrassenradeln. Bartoschek ist Informatiker, Beruf und Berufung ergänzen sich perfekt.


87 Prozent aller Radwege abgeradelt

Bei ihm kam zuerst die Freude am Radeln – später wuchs die Liebe zur stillgelegten Strecke: Urlaube, freie Wochenenden – wann immer es möglich ist, schwingt er sich in den Sattel: Zwischen 3000 und 9000 Kilometer im Jahr ist er unterwegs. 87 Prozent aller Bahntrassenradwege in Deutschland hat er beradelt. Derzeit fehlen ihm Sachsen-Anhalt und Thüringen noch ein paar der insgesamt rund 4800 Kilometer früherer Bahngleise.

Aber Bartoschek muss keine Sorge haben, dass ihm die Strecken ausgehen. Die Umwandlung alter Bahnstrecken in neue Radwege ist ein weltweiter Trend – Spitzenreiter sind die USA mit fast 35 000 Kilometern ehemaliger Bahnstrecken, die jetzt „Trails“ sind, diese sind allerdings weniger glatt als hier.


Gute Radwege werden mit vier Fahrrädern ausgezeichnet

Manchmal ist Achim Bartoschek mit Freunden oder Freundin unterwegs, oft radelt er allein. Dennoch ist Bahntrassenradeln ein Hobby, das er mit vielen teilt: Wenn er nicht im Sattel sitzt, sitzt er vor dem Computer und perfektioniert seine Internet-Seite, durchforstet Zeitungen nach Berichten über die Umwandlung ehemaliger Bahnstrecken in Radelpisten, stellt Bilder, Karten und Wegebeschreibungen ins Netz.

Die Folge: Oft wird er von anderen Bahntrassenradlern mit Informationen versorgt. Mittlerweile verweisen Touristikverbände und Kommunen auf seine Internetadresse. Vor allem, wenn sie in Achim Bartoscheks Bahntrassen-Radelkatalog mit interaktiver Karte vier von vier möglichen Fahrrädern für eine besonders erstklassige Bahntrasse bekommen haben. Pro Jahr nutzen rund 700 000 Menschen sein Infopaket, das 2012 für den Deutschen Fahrradpreis nominiert war.

Bahntrassen zu Radwegen – das ist in den Augen des Nicht-Autofahrers Bartoschek die einzigartige Chance zu einer Verkehrswende. „Das hat sich besonders in der Eifel gezeigt“, sagt er. Steigungsreiche Mittelgebirge sind sonst nicht gerade das Lieblingsterrain der Fahrradfreunde – doch die Umwandlung zahlreicher Bahnstrecken in Eifel und Venn, wo man vor mehr als hundert Jahren angesichts drohender Kriege Bahnstrecken baute, die danach in Vergessenheit gerieten, hat dazu geführt, dass dort nicht nur Touristen, sondern auch Einheimische mehr aufs Rad umsteigen.

Die Autobahn des kleinen Mannes

Rot sieht Bartoschek nur, wenn sogenannte „Drängelgitter“, gut gemeinte Absperrungen vor kreuzenden Straßen, die Bahnfahrt stoppen. „Oft stehen sie so eng, dass man mit Fahrradanhänger oder Packtaschen absteigen muss“, kritisiert er. Qualität auf den Radwegen ist ihm wichtig. Deswegen plädiert er auch für asphaltierte Wege: „Teurer im Bau, aber günstiger im Unterhalt“, sagt Bartoschek. Die so genannten wassergebundenen Decken werden schnell löchrig. In gutem Zustand aber wird die alte Bahnstrecke zur neuen Autobahn des kleinen Mannes. Apropos: Er ist überzeugt, dass die geplante Radelautobahn von Duisburg nach Dortmund quer durchs Revier ein Umlenken vom Auto aufs Zweirad bringt – nicht nur, weil große Teile der Trasse über eine ehemalige Bahnstrecke führen.

Den Trend zum Fahrrad will er vor seiner eigenen Haustür weiter verstärken: Unter dem in diesem Sommer unvermeidlichen Regenschutz macht Bartoschek per T-Shirt Werbung für die Balkan-Bahn. Eine Trasse von Leverkusen ins Bergische Land. Dort entsteht derzeit ein Bahntrassen-Radwegenetz, das es in ein paar Jahren ermöglichen könnte, ohne steile Anstiege von Essen oder vom Rhein durchs Bergische Land ins Sauerland bis nach Winterberg zu kommen. Gewiss, Bartoschek handelt da nicht völlig uneigennützig. Der Umbau der Balkanbahn bringt ihm den Anschluss zum Bahnradwegenetz quasi vor die Haustür. Gönnen wir es ihm!

Stephan Hermsen

Warum Bahntrassen so geeignet sind
Bahntrassen zu Radwegen - warum sie so beliebt sind

1. Eisenbahnstrecken haben meist nicht mehr als zwei Prozent Steigung, maximal sind es vier. Da kommt auch der ungeübte Radler nicht aus dem Sattel. Zum Vergleich: Rollstuhlrampen dürfen maximal sechs haben.

2. In vielen ehemaligen Bahnhöfen hat sich Gastronomie niedergelassen, manchmal sogar mit Übernachtungsmöglichkeiten, in der Pfalz sogar im abgestellten Schlafwagen. Das ermöglicht den genussvollen Zwischenhalt.

3. Sollten die Kräfte eher zu Ende sein als die Strecke: Meist ist der Weg von der alten Bahn zum nächsten Gleisanschluss kurz.

4. Bahnstrecken, einst mit Millionenaufwand gebaut, werden so noch weitere Jahrzehnte genutzt und bleibt als technisches Denkmal erhalten. Zudem kann man sie womöglich für Leitungen oder gar für eine Wiedereröffnung als Bahn erhalten, wenn die Strecken nicht zerstückelt werden.

5. Bahntrassen als Radweg sind Wirtschaftsadern: In vielen Regionen wie der Eifel oder dem Bergischen Land, wo die Androhung eines Fahrradurlaubs wie Folter klang, ermöglichen umgebaute Bahntrassen ökologischen, hochwertigen Tourismus. Radwege bringen nach einer Studie der Tourismusforscher an der Uni Trier rund 150 000 Euro Umsatz pro Jahr und Kilometer, abhängig von Länge, Bekanntheits- und Schwierigkeitsgrad.

6. Auch Einheimische steigen vermehrt aufs Fahrrad um, gerade in gebirgigen Gegenden, wo das Fahrrad für Alltagswege zum Einkauf, zur Schule oder zur Arbeit bislang kaum eine Rolle spielte.

7. Das Wichtigste zum Schluss: www.bahntrassenradeln.de – das ist Achim Bartoscheks Seite.

 

DIE SCHÖNSTEN ROUTEN DER REGION
ausgewählte BAHNTRASSEN-RADWEGE IN DER REGION

1. Kleve-Griethausen: 4 km, endet an einer eindrucksvollen Eisenbahnbrücke über den Altrhein

2. Xanten-Marienbaum: 7 km, sollen der Anfang eines 26-km-Radweges bis Kleve sein

3. Kaldenkirchen-Nettetal-Kempen, streckenweise noch im Bau, zehn von 18 km sind schon fertig

4. „Der Grafschafter“: auf der Kleinbahntrasse von Moers-Mitte hinaus zum Hülser Berg, 11 km

5. Rees-Mehr: 5 von 8 km auf der ehemaligen Kleinbahntrasse, leider gepflastert und ohne Rheinblick

6. Dorsten - Drevenack, bis Schermbeck ist er fertig, aber teilweise schmal, 18 km.

7. DU-Meiderich-OB-Sterkrade-DU-Walsum:, 20 km, gut ausgebaut, Höhepunkt: Landschaftspark

8. OB-Osterfeld-Bottrop: knapp 7 km, geteert, oft im Einschnitt, schöner Weg zur Halde Haniel

9. Grugaweg: beliebte, ansteigende Piste von MH-Heißen über Essen-Rüttenscheid nach Steele

10. Zollverein: 15 km durch Essens wilden Norden zur Erzbahntrasse und zur Schurenbachhalde

11. Erzbahntrasse: spektakuläre Brücken, tolle Höhenlage, 9 km von Bochum zum Rhein-Herne-Kanal

12. Rheinische Bahn: noch sind es nur 6 km von Essens City in den Westen, bald soll es weiter nach Mülheim und Duisburg gehen

13. MH-Styrum-MH-Saarn: Leider zerstückelte Trasse südlich der Ruhr, ca 6,5 km, schwer zu finden.

14. Kettwig-Wülfrath: südlich der Ruhr geht’s über ein tolles Viadukt 23 km ins Bergische mit langer, aber beherrschbarer Steigung